Der Ökostrommarkt
hat einen Skandal: Wie der Spiegel meldet, haben Stromversorger
systematisch Atomstrom zu Ökostrom umetikettiert - und sich
dabei sogar legaler Mittel bedient, die auch von der EU unterstützt
werden. Dahinter steht ein ausgeklügeltes System namens
RECS. Dieses "Renewable Energy Certificate System" ermöglicht
es, bestimmte Strommengen mit einer neuen Identität zu versehen.
Das
funktioniert so: Ein Stromversorger, der - zum Beispiel über
die Börse - einen Mix von Kohle- und Atomstrom bezieht, kauft
sich dazu ein entsprechendes Kontingent an RECS-Zertifikaten und
kann nun seinen Atom- oder Kohlestrom als Ökostrom bezeichnen.
Die Zertifikate werden generiert, indem an anderer Stelle in gleicher
Menge Ökostrom zu "Normalstrom" heruntergestuft wird.
Daran halten sich aber offenbar einige Produzenten von erneuerbarem
Strom nicht und verkaufen den Strom, den sie eigentlich nicht mehr
als Ökostrom deklarieren dürften, weiterhin als solchen.
Durch diesen Trick lassen sich ganze Städte plötzlich mit Ökostrom
versorgen.
"Das
System ist eine Mogelpackung", sagte Greenpeace-Energy-Geschäftsführer
Robert Werner. Er empfiehlt Verbrauchern, sich bei ihrem Versorgungsunternehmen
zu erkundigen, ob diese RECS-Zertifikate nutzen, und gegebenenfalls
den Anbieter zu wechseln. Von einem "reinen Verschiebebahnhof" spricht
Thorsten Kasper vom Verbraucherzentrale-Bundesverband. Denn das Ganze
geschieht, ohne dass auch nur eine einzige Kilowattstunde mehr an Ökostrom
erzeugt wird. "Eine Täuschung des Verbrauchers", sagt
daher Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft
des Saarlandes. Bestätigt fühlen können sich die unabhängigen
Anbieter von Ökostrom, die grundsätzlich jede Geschäftsbeziehung
zu Unternehmen aus der Atombranche ablehnen.
Ursprünglich wurde das RECS-Siegel im Jahr 2002 in 15 europäischen
Ländern eingeführt, um einen Herkunftsnachweis für
Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu schaffen und den Handel
mit Ökostromzertifikaten zu ermöglichen.
An
dem RECS-System nehmen 173 Mitglieder teil, darunter Energiekonzerne,
Umweltverbände und gemeinnützige Vereine. Die deutsche
RECS-Dependance befindet sich im Hause von Vattenfall in
Hamburg, der Vorsitzende ist bei Vattenfall angestellt, sein
Stellvertreter
bei Eon. Auch RWE und EnBW sind dabei. RECS ist ein System
der etablierten Energiewirtschaft.
Auch
in anderen Ländern wird das Verfahren genutzt, und bisweilen
werden seine Vorzüge für die Atomwirtschaft offen genannt.
So ist in einer Werbebroschüre von RECS Schweiz nachzulesen,
das System sei "sehr interessant", weil es "eine einfache
Ergänzung des Angebotsportfolios ohne Zubau erlaubt" -
also ohne Zubau erneuerbarer Energien.
Wie
der Spiegel weiter berichtet, hat auch die Stadt Kassel, die
im Herbst ihre Haushalte komplett auf Ökostrom umstellte, dies
bloß durch den Kauf von RECS-Zertifikaten erwirkt. Die Aussage
der Städtischen Werke Kassel vom Oktober, ihr Strom werde "klimaneutral
durch skandinavische Wasserkraft erzeugt", erscheint damit in
neuem Licht. Und die Behauptung der Kasseler, die "eingesparten
Emissionen" wirkten sich "weltweit positiv auf das Klima
aus", ist sogar unwahr, sofern sich der RECS-Handel bestätigen
sollte. In Kassel war am Sonntag niemand für eine
Stellungnahme erreichbar.
Freunde
erneuerbarer Energien betrachten RECS kritisch. Der Aachener
Solarenergie-Förderverein spricht gar von einem "gefährlichen
System", da es die hierzulande bewährte Förderung
von Ökostrom aushebeln könne. Wozu soll man neue Ökostrom-Kraftwerke
fördern, wenn man die Umweltziele durch einfache Umetikettierung
billiger erreichen kann? |