"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

taz 7.1.2008


Legale Stromwäsche

Sie beziehen Ökostrom? Sind Sie sicher? Vielleicht fragen Sie mal Ihren Versorger, ob er Ihnen nicht doch Atom- oder Kohlestrom liefert, den er als Ökostrom deklariert. Dafür braucht er nur ein Zertifikat - das er ganz legal kaufen kann.


von BERNWARD JANZING

 

 

 

 

 

 

 

Der Ökostrommarkt hat einen Skandal: Wie der Spiegel meldet, haben Stromversorger systematisch Atomstrom zu Ökostrom umetikettiert - und sich dabei sogar legaler Mittel bedient, die auch von der EU unterstützt werden. Dahinter steht ein ausgeklügeltes System namens RECS. Dieses "Renewable Energy Certificate System" ermöglicht es, bestimmte Strommengen mit einer neuen Identität zu versehen.

Das funktioniert so: Ein Stromversorger, der - zum Beispiel über die Börse - einen Mix von Kohle- und Atomstrom bezieht, kauft sich dazu ein entsprechendes Kontingent an RECS-Zertifikaten und kann nun seinen Atom- oder Kohlestrom als Ökostrom bezeichnen. Die Zertifikate werden generiert, indem an anderer Stelle in gleicher Menge Ökostrom zu "Normalstrom" heruntergestuft wird. Daran halten sich aber offenbar einige Produzenten von erneuerbarem Strom nicht und verkaufen den Strom, den sie eigentlich nicht mehr als Ökostrom deklarieren dürften, weiterhin als solchen. Durch diesen Trick lassen sich ganze Städte plötzlich mit Ökostrom versorgen.

"Das System ist eine Mogelpackung", sagte Greenpeace-Energy-Geschäftsführer Robert Werner. Er empfiehlt Verbrauchern, sich bei ihrem Versorgungsunternehmen zu erkundigen, ob diese RECS-Zertifikate nutzen, und gegebenenfalls den Anbieter zu wechseln. Von einem "reinen Verschiebebahnhof" spricht Thorsten Kasper vom Verbraucherzentrale-Bundesverband. Denn das Ganze geschieht, ohne dass auch nur eine einzige Kilowattstunde mehr an Ökostrom erzeugt wird. "Eine Täuschung des Verbrauchers", sagt daher Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Bestätigt fühlen können sich die unabhängigen Anbieter von Ökostrom, die grundsätzlich jede Geschäftsbeziehung zu Unternehmen aus der Atombranche ablehnen.

Ursprünglich wurde das RECS-Siegel im Jahr 2002 in 15 europäischen Ländern eingeführt, um einen Herkunftsnachweis für Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu schaffen und den Handel mit Ökostromzertifikaten zu ermöglichen.

An dem RECS-System nehmen 173 Mitglieder teil, darunter Energiekonzerne, Umweltverbände und gemeinnützige Vereine. Die deutsche RECS-Dependance befindet sich im Hause von Vattenfall in Hamburg, der Vorsitzende ist bei Vattenfall angestellt, sein Stellvertreter bei Eon. Auch RWE und EnBW sind dabei. RECS ist ein System der etablierten Energiewirtschaft.

Auch in anderen Ländern wird das Verfahren genutzt, und bisweilen werden seine Vorzüge für die Atomwirtschaft offen genannt. So ist in einer Werbebroschüre von RECS Schweiz nachzulesen, das System sei "sehr interessant", weil es "eine einfache Ergänzung des Angebotsportfolios ohne Zubau erlaubt" - also ohne Zubau erneuerbarer Energien.

Wie der Spiegel weiter berichtet, hat auch die Stadt Kassel, die im Herbst ihre Haushalte komplett auf Ökostrom umstellte, dies bloß durch den Kauf von RECS-Zertifikaten erwirkt. Die Aussage der Städtischen Werke Kassel vom Oktober, ihr Strom werde "klimaneutral durch skandinavische Wasserkraft erzeugt", erscheint damit in neuem Licht. Und die Behauptung der Kasseler, die "eingesparten Emissionen" wirkten sich "weltweit positiv auf das Klima aus", ist sogar unwahr, sofern sich der RECS-Handel bestätigen sollte. In Kassel war am Sonntag niemand für eine Stellungnahme erreichbar.

Freunde erneuerbarer Energien betrachten RECS kritisch. Der Aachener Solarenergie-Förderverein spricht gar von einem "gefährlichen System", da es die hierzulande bewährte Förderung von Ökostrom aushebeln könne. Wozu soll man neue Ökostrom-Kraftwerke fördern, wenn man die Umweltziele durch einfache Umetikettierung billiger erreichen kann?

 


Ökostromanbieter dürfen nicht mit der Atombranche verflochten sein.
Was der Obstbauer lehrt

KOMMENTAR VON BERNWARD JANZING

 


Schauen wir uns das Ganze mal nüchtern an. Stellen wir uns vor, wir stehen am Marktstand eines Obstbauern. Der Mann bietet uns Äpfel an, die mit allem, was die Chemieküche hervorbringt, behandelt sind. Nur in einer Kiste liegen Äpfel von angeblicher Bioqualität. Sie sehen genauso aus, wie die anderen, aber sie sind teurer. "Wir wollen eben fortan auch unsere Ökokunden bedienen", erklärt uns der Obstbauer.

Wir reagieren skeptisch, wollen auf das Angebot nicht so recht anspringen. Denn unser Bauchgefühl bremst uns. Zumal dann, wenn wir wissen, dass genau dieser Obstbauer keine Situation auslässt, um der Öffentlichkeit kundzutun, dass ohne Chemie der Obstbau doch gar nicht funktionieren könne. Wir wenden uns also ab und kaufen lieber beim Ökobauern am Nachbarstand, der ausschließlich Ökoware erzeugt. Zudem ist der glaubhafter, weil er auch politisch die Agrochemie verurteilt und sich für Bio engagiert.

Wird nun nicht mit Äpfeln gehandelt, sondern mit Strom, ist die Sensibilität vieler Kunden offensichtlich geringer. Ansonsten wäre die Empörung jetzt nicht so groß, nachdem aufgeflogen ist, dass Atomstrom munter zu Ökostrom umetikettiert wurde. Natürlich ist das Ganze ein Skandal - aber er war zu erwarten. Denn Unternehmen, die gleichzeitig den Atomausstieg hintertreiben, wo es nur geht, können nie und nimmer glaubwürdige Ökostromverkäufer sein. Merke: Wo zugleich mit Atomstrom gehandelt wird, ist der Schmu programmiert.

Vordenker im Ökostrommarkt erklären daher seit Jahren, dass ein wahrer Ökostromanbieter keine Verflechtungen mit der Atomwirtschaft haben darf. Er darf weder Anteilseigner aus der Atombranche haben, noch darf er von solchen Unternehmen Strom beziehen. Nur wurden diese Mahner auch in der Ökoszene nicht immer gehört.

Was heißt das für den Verbraucher? Er lässt künftig die Finger von den Ökostromangeboten von Unternehmen, bei denen Eon, Vattenfall & Co mit im Boot sitzen - auch viele Stadtwerke zählen dazu -, und wendet sich den reinen Ökoanbietern zu. Am besten jenen, die sich auch politisch gegen Atomstrom engagieren.