Verein Freies Wagenleben

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34127 Kassel
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Datum:  27.10.1997
 

An die
Mitglieder des Magistrats der Stadt Kassel
Rathaus
 

Bauarbeiten auf dem Gelände des Nordstadt-Selbsthilfeprojekts Wagenplatz K18
 

Sehr geehrte Magistratsmitglieder,
Vor zwei Wochen haben die BewohnerInnen des Wagenplatzes K18, vertreten durch den Verein „Freies Wagenleben", Gespräche mit den DezernentInnen Frau Caroli, Herr Groß, Herr Barthel, Herr Schäfer, Frau Wiebusch und Herr Lewandowski geführt. Unser Anliegen war zunächst die Möglichkeit zu prüfen, ob die Stadt dem Wagenplatz K18 notfalls eine Fläche zur Verfügung stellen kann, um dem selbstverwalteten studentischen Wohnprojekt eine Zukunft zu gewährleisten.
Die DezernentInnen vertraten mehrheitlich die Position, das Problem sei privatrechtlicher Natur und die Stadt könne sich nicht einmischen. Die GhK eskaliert dagegen die Situation der BauwagenbewohnerInnen: Sie erklärte das bewohnte Gelände schlicht zur Baustelle, zäunte es komplett ein und ließ die Baufirma Spohr bereits rund um die Bau- und Zirkuswagen mit Bauarbeiten beginnen. Die Hochschule stellt sich damit offen gegen vielfältige Beschlüsse von Organen studentischer Selbstverwaltung (AStA, StuPa, Fachschaften) und Hochschuleinrichtungen (WZIII, ESG, Fachbereiche, Initiativen). Immer wieder vorgebrachte Verhandlungsvorschläge seitens der BewohnerInnen wurden teils brüsk zurückgewiesen, selbst zwei Vertragsentwürfe und ein Konzept ignoriert. Darüberhinaus bot Bürgermeister Ingo Groß an, einen Runden Tisch um des sozialen Friedens Willen mit BewohnerInnen und der GhK zu moderieren; der Vorschlag wurde vom Präsident der GhK, Brinckmann, ebenfalls abgelehnt.

Der Hintergrund des Projekts und des Konflikts mit der GhK
Der Wagenplatz K18 entstand 1989 aus einem Projekt des Fachbereichs Sozialwesen. Ziel war, als Selbsthilfe-Projekt eine andere Wohnform und eine ressourcenschonende Lebensweise auszuprobieren und zu etablieren. Die BewohnerInnen entschieden sich bewußt für diese Wohnform. Sie bemühten sich dabei, Auflagen der GhK und der Stadt nachzukommen. So wird auch heute noch die Anzahl der BewohnerInnen auf 15 beschränkt und z.B. die Hausbrand-Anlagen vom Bezirksschornsteinfeger regelmäßig kontrolliert. 1992 kündigte die GhK dem Projekt und stellte Strafantrag gegen die BewohnerInnen wegen Hausfriedensbruchs. Die GhK wollte auf dem Gelände eine Kindertagesstätte bauen. Der Bauantrag wurde jedoch abgelehnt und der Strafantrag in 2. Instanz vom OLG zurückgewiesen. Seit dieser Zeit duldete die GhK den Platz am Standort.
Seit Bestehen des Projekts ging von K18 Kulturarbeit aus, daneben übernehmen die BewohnerInnen soziale Funktionen im Stadtteil. Nach achtjährigem Bestehen ist der Wagenplatz in die Nordstadt integriert; das Projekt beweist seine Kontinuität und seinen Selbsthilfecharakter seit 1992 auch ohne Projektbetreuung durch eineN ProfessorIn. Als sich 1997 die Gerüchte um eine geplante Park-Bebauung verdichteten, nahmen die BewohnerInnen Kontakt mit der Hochschuleitung auf, um eine integrative Lösung und eine Einbeziehung in Planung zu erarbeiten. Die neue Beplanung des Geländes schien eine lange angestrebte vertragliche Bindung greifbar werden zu lassen. In den durch den AStA und das StuPa vermittelten Gesprächen stellte  K18 eine Alternativplanung und ein Vertragkonzept vor. Ebenfalls im Gespräch waren Ersatzflächen für die 15 BewohnerInnen im Falle einer Ablehnung deren Konzepte durch die GhK. Die vorgestellte integrative Lösung sieht einen Verbleib auf denjenigen Flächen vor, die als Lehr- und Forschungsflächen dem FB Landschaftsplanung vorgehalten werden sollen.
Parallel zu den Gesprächen mit AStA und StuPa formierte sich innerhalb der GhK eine Opposition aus Hochschulgremien und studentischer Selbstverwaltung gegen die neuen Bebauungspläne ohne Berücksichtigung der BewohnerInnen. Selbst die Dekanin des FB Landschaftsplanung kündigte im Juli an, daß der Fachbereich dort keine Flächen beansprucht, wenn der Wagenplatz nicht bleiben kann. Die GhK aber ging auf alle Vorschläge und Einwände nicht ein und kündigte dem Wohnprojekt mit zweiwöchiger Frist zum 20.10.1997.
Die Hochschule versucht nun, ihr ehemaliges Projekt und ihre Studierenden per einstweiliger Verfügung vom Gelände räumen zu lassen.

Was die Stadt mit der Problematik zu tun hat
Der Konflikt zwischen der GhK und dem Bauwagenplatz ist zwar privater Natur, doch wird das Problem spätestens bei einer polizeilichen Räumung ein städtisches. Daher bitten wir den Magistrat, sich noch vorher damit auseinanderzusetzen. Neben den DezernentInnen und dem Oberbürgermeister bitten wir auch Sie darum,

  1. Einen Aufschub der Bauarbeiten zu erwirken.
  2. Einen von Herrn Groß moderierten Runden Tisch zu installieren, an dem neben VertreterInnen der Stadt auch die GhK und die StudentInnen des Wagenplatzes K18 teilnehmen.
  3. An dem Runden Tisch eine integrative Lösung auf dem Gelände der GhK zu behandeln, die hoffentlich allen Parteien gerecht wird. Hier kann auch der Vertragsentwurf diskutiert werden.
  4. Hochschuleigene Ausweichflächen als Notlösung in die Diskussion zu bringen.
  5. Bedenken der Stadt als Aufsichtsbehörde aus dem Weg zu räumen (z.B. anzuerkennen, daß wir ohne Kanalisation auskommen oder daß das Aufstellen von Bauwagen nicht als Flächenversiegelung gilt).
Wir sind in keinem Fall an einer polizeilichen Räumung interessiert, da diese ein unseres Erachtens negatives politisches Signal darstellt. Wir schlagen stoisch den Weg über Verhandlungen vor. Der Wagenplatz K18 ist in die Stadtteilstruktur integriert, folglich ist uns der Verbleib in der Nähe der GhK ein wichtiges Anliegen. Langfristig geht es uns auch darum, die etablierte Wohnform Bauwagen städteplanerisch zu berücksichtigen und vertraglich zu legalisieren. Wir schlagen vor, diese Thematik in einem Ausschuß vertiefend zu behandeln. Entsprechende Verträge anderer Städte mit Bauwagenplätzen können wir in einer Sitzung vorstellen.
Wir bitten Sie als Mitglieder des Magistrats, die vorgebrachten Punkte zu prüfen um die Situation an der GhK zu deeskalieren und der alternativen Lebensform Bauwagen in der Nordstadt eine Zukunft zu geben.
 
 

Mit freundlichen Grüßen; die BewohnerInnen und UnterstützerInnen des Bauwagenplatz K18, organisiert im Verein „Freies Wagenleben"